Redebeitrag von Mechthild Merfeld

Zur Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht im Rathaus Tiergarten am 9. November 2012

„Sie waren Nachbarn“. Was will die Initiative?
Sie will die Erinnerung an die Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 40er Jahre im Berliner Stadtteil Moabit lebenden Jüdinnen und Juden wachhalten, an ihr Schicksal und an das Verhalten der Mehrheit ihrer Nachbarn.
Sie will daran erinnern, dass von der  zur „Sammelstelle“ pervertierten Synagoge in der Levetzowstraße aus mehr als 30.000 Jüdinnen und Juden zum damaligen Güterbahnhof Moabit getrieben und von dort in Ghettos und  Vernichtungslager deportiert wurden.
Sie will mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass Minderheiten heute nicht diskriminiert werden, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner im Stadtteil sicher nicht konfliktfrei aber friedlich zusammenleben, dass sich nie wieder wiederholt, was im sog. Dritten Reich in Deutschland und durch Deutschland geschehen ist.
Sie will, dass die Verantwortung dafür von allen Generationen übernommen wird – auch von den  jungen Menschen, für die diese Geschichte sehr weit zurückliegt.

Wer ist die Initiative?
Wenige in Moabit lebende Menschen unterschiedlichen Alters, die sich für diese Ziele gemeinsam und ehrenamtlich einsetzen. Es gibt keinen Verein, keine Satzung, keine Grundsatzerklärungen.

Was hat die Initiative bisher unternommen?
Die Initiative „Sie waren Nachbarn“ begann im Herbst 2010 mit der Recherche der Daten der in Moabit wohnenden und von hier deportierten Jüdinnen und Juden.

Der nächste Schritt war die Einrichtung der Website „sie-waren-nachbarn.de“ mit inzwischen breit gefächerten Informationen über die Geschichte der Verfolgung, über die Opfer, die Orte und die Aktivitäten  der Initiative.

Am 18. Oktober 2011 fand vor dem ehemaligen Hertie-Kaufhaus in der Turmstraße die erste öffentliche Veranstaltung aus Anlass des 70. Jahrestags der ersten Deportation  von Juden aus Berlin unter Mitwirkung des Rabbiners und Direktors der Topografie des Terrors, Andreas Nachama, statt. An diesem Tag wurden dort die Listen der in den 40er Jahren in Moabit lebenden und von dort aus deportierten Juden sowie 10 Plakate ausgehängt. Diese wurden anschließend in Läden, Büros, Praxen und Restaurants im Stadtteil verteilt. Es wurden mehrere hundert Exemplare abgenommen, aber leider nicht alle nach außen sichtbar aufgehängt, was eigentlich beabsichtigt war.

Es gab viele positive Reaktionen auf diese Aktivitäten, Anfragen, Spenden (weniger reichlich) und Folgeaktionen, wie eine Ausstellung in der Menzel-Schule auf Initiative der Gesamtschülervertretung und eine spätere im Kleist-Gymnasium. Allerdings auch Schmierereien am Schaufenster von Hertie, die regelmäßig von der Initiative entfernt wurden. Wegen der Baustellenbedingungen wurden auch die Listen mehrfach erneuert; im Internet werden sie ohnehin immer wieder aktualisiert.

Ursprünglich waren der Aushang und die Plakataktion bis Ende 2011 geplant. Wegen der großen Resonanz wurden sie über das Jahresende hinaus verlängert. Während einige bisherige Mitwirkende ausschieden, kamen neue Mitglieder zur Initiative hinzu, die beschlossen, sich als nächstes um vertiefte Informationen über Einzelschicksale von ins Exil getriebenen und ermordeten Juden zu bemühen. Das stellte sich als sehr schwierig und zeitaufwändig heraus und bleibt eine noch kaum gelöste Aufgabe. Außerdem sollten die Pläne vorangetrieben werden, ein würdiges Mahnmal am ehemaligen Güterbahnhof Moabit an der Quitzowstraße für die mehr als 30.000 von hier aus nach Riga, Minsk, Lodz, Theresienstadt und Auschwitz Deportierten zu schaffen. Sie waren von der Levetzowstraße meist zu Fuß quer durch Moabit zu den Deportationsgleisen getrieben worden. Diese Bemühungen sind noch nicht weit gediehen – v.a. wegen der Einschätzung, dass die Realisierungschancen aus Geldmangel gering sein dürften.
Die Listen wurden in 2012 noch einen Monat lang in der Stromstraße ausgehängt, dazu eine Informationsveranstaltung durchgeführt.
Am 1. November wurde die Vitrine am Rathaus Tiergarten mit den Listen, Plakaten und einer Installation ausgestaltet, dann leider ohne vorhergehende Information der Initiative am 7. November wieder ausgeräumt, um sie einem anderen Nutzer zur Verfügung zu stellen. Auf Grund unserer Beschwerde und verschiedener Einsprüche von Dritten konnte sie am 8. November wieder neu aufgebaut werden und soll jetzt wenigstens bis zum 26. November zu sehen sein.

Was sind die nächsten Vorhaben?
Unsere nächsten Aktivitäten sind:
Eine Informationsveranstaltung mit Andreas Szagun über den ehemaligen Deportationsbahnhof an der Quitzowstraße wahrscheinlich im Januar 2013.
Die Entwicklung eines Konzepts zur dauerhaften Veranschaulichung des Weges, den die Deportierten von der Sammelstelle zu den Deportationsgleisen durch Moabit zurückgelegt haben.
Wir freuen uns über neue Mitglieder Vorschläge für die weitere Arbeit.
Mithilfe bei der Recherche von Lebensläufen hier ansässig gewesener  Jüdinnen und Juden und Infos  über  Aktivitäten jüdischer Vereine und Institutionen in Moabit, die in Veranstaltungen und/oder auf der Website vorgestellt werden sollen.
Und wir empfehlen allen Interessierten: „sie-waren-nachbarn.de“