Einweihung des Gedenkorts Güterbahnhof Moabit

Etwa 120 Personen nahmen am 16. Juni 2017 an der feierlichen Einweihung des neuen Gedenkorts teil, der an der Ellen-Epstein-Straße zwischen den Parkplätzen vom Hellweg Baumarkt und Lidl Supermarkt liegt. Über 30.000 Juden waren von dort während des Nationalsozialismus in Ghettos und Vernichtungslager in Osteuropa deportiert worden.

Zur Einweihung des Gedenkortes gestal­teten Schülerinnen und Schüler der Theodor-Heuss-Gemein­schafts­schule mit musikalischen Darbietungen eines von Gitarre und Violine begleiteten Chores wie auch durch Lesungen ein würdigen Rahmen für die Redebeiträge von Bezirksstadträtin Sabine Weißler, Prof. Dr. Andreas Nachama, Historiker und Direktor des Doku­men­ta­tions­zentrums Topo­graphie des Terrors und ehemaliger Vor­sitzender (1997-2001) der Jüdischen Gemeinde Berlin, sowie Jan Liesegang und Francesco Apuzzo vom Künstler­kollektiv raumlabor berlin, das im vergangenen Jahr den von der Senats­­verwaltung für Kultur und Europa durch­geführten Kunst­wett­bewerb zur Gestaltung des Gedenkortes gewonnen hatte.

20 Waldkiefern wurden auf der für den Gedenkort verbliebenen – gerade mal 250 Quadratmeter großen – Fläche gepflanzt. Sie stehen dicht, bilden ein scheinbar deplatziertes Element eines Kiefernwaldes und sollen in dem unwirtlichen Raum­zusammen­hang für Irri­tation sorgen. Die Stämme der Kiefern, die schon jetzt eine statt­liche Höhe aufweisen, sind mit einem Kalk­anstrich geweißt – Schüle­rinnen und Schü­ler der benachbarten Theodor-Heuss-Gemein­schafts­schule begleiteten die Ent­stehung des Gedenkortes sowohl mit der Auseinandersetzung mit der Geschichte wie auch mit der Beteiligung am Kalkanstrich. Die Kronen der eng gepflanzten Kiefern bilden schon jetzt die Basis für ein lichtes Dach. Aber nicht nur mit den Augen sehen kann man die Kiefern, sie sprechen auch den Geruchssinn an, eine weitere Irritation in dieser Umgebung, die zur Auseinandersetzung mit dem Ort anregt und zum Verweilen einlädt, z.B. auf einer kleinen steinernen Sitzfläche am Rand zur Ellen-Epstein-Straße, wahlweise mit dem Blick zu den jenseits der Straße gelegenen Gleisen vom Nordring oder durch den Kiefernhain zum Fragment des Deportationsgleises, der historischen Spundwand und dem historischen Stück des Pflasterweges vom Gleisfragment zur Quitzowstraße.

Nach 30 Jahren werden die Kiefern eine Höhe von 30–35 Metern erreichen – ein wachsender, lebender Gedenkort, der mit den Jahren seine Gestalt verändert – im Gegensatz zu Gedenkorten aus totem Material, stellt Francesco Apuzzo heraus. Der neue Ge­denk­­ort versteht sich als Spiegelung des Mahnmals an der Leve­­tzow­­straße. Die Gedenkstätte Levetzow­­straße – von der als Sammel­­lager miss­­brauch­­ten Synagoge wurden die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger durch die Moabiter Straßen zur Deportationsrampe verbracht – bleibt das zentrale Moabiter Mahnmal neben dem Denkmal auf der Putlitzbrücke und dem neuen Gedenkort.

Eine Skizze auf dem Ende des historischen Pflasterweges an der Quitzowstraße visu­alisiert anschaulich den Depor­tations­weg vom Sammellager durch Moabit an diesen Ort. Eine zweite Stele an der Quitzowstraße zeigt in einer Skizze die Lage der für die Deportationen  benutzten Militärgleise 69, 81 und 82 des ehemaligen Güterbahnhofs Moabit.

Seit 25 Jahren weisen zahlreiche Einzel­personen, Initiativen, die Gedenk­stätte Topographie des Terrors auf die Wichtigkeit dieses Ortes hin, seit Mitte der 1990er Jahre war das damalige Bezirksamt Tiergarten mit den früheren Bahntöchtern VIVICO und DB Netz im Gespräch. Was die Verfasser des Entwurfs für den neuen Gedenkort 2016 bei ihrem ersten Besuch des Ortes vorfanden, empfanden sie wie eine „… Inszenierung eines bitterbösen Kunstwerkes. Klarer, banaler, zynischer kann man das systematische Wegsehen, welches genau an diesem Ort vor 75 Jahren stattgefunden hat, nicht reinszenieren. Die völlige Abwesenheit von Empathie macht betroffen, traurig und ratlos.

Sabine Weißler wies wie schon anlässlich der Vorstellung des Wett­be­werbs­er­geb­nisses im September 2016 kritisch auf die Planungs­geschichte hin, die vom Grund­stück­ver­wertungs­druck geprägt war. Prof. Andreas Nachama zitierte aus den Erinnerungen von Hildegard Henschel (1897–1983), der Ehefrau des damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zu den Umständen und Erlebnissen der von Deportationen Betroffenen und Angehörigen.

Seit 25 Jahren haben sich Einzelpersonen, Initiativen, die Topographie des Terrors sowie Verwaltungen von Bezirk und Senat in immer wieder neuen Konstellationen um die Errichtung dieses Gedenkorts als Ergänzung zu den 1987/88 errichteten Mahnmalen an der Levetzowstraße und auf der Putlitzbrücke befasst. In den Redebeiträgen besonders gewürdigt wurden die Verdienste des 2015 verstorbenen Historikers Alfred Gottwald, der insbesondere zur Deutschen Reichsbahn und der Zeit des Nationalsozialismus geforscht hat, und erstmals 2006 in einer Veröffentlichung nachwies, dass vom Güterbahnhof Moabit aus die meisten Deportationen aus Berlin erfolgten, die Verdienste von Andreas Szagun, ehemaliger Eisenbahner der sich in verschiedenen Initiativen engagiert und als Hobbyhistoriker wichtige Beiträge zur Eisenbahngeschichte verfasst hat und von Thomas Abel als Mitglied der 2011 gegründeten Moabiter Initiative „Sie waren Nachbarn“.

Mit der Einweihung des Gedenkorts Güterbahnhof ist aber nicht nur eine Mahnung zum Gedenken an die Geschichte der Deportationen verknüpft, sondern auch eine Mahnung an einen anderen Umgang mit diesem Ort – nicht nur ein wachsender, lebender Gedenkort, der mit den Jahren seine Gestalt verändert – sondern auch Pflege und Aufmerksamkeit braucht, was Francesco Apuzzo vom raumlabor berlin in seinem Redebeitrag betonte – eine Herausforderung sowohl an die für den Ort zuständigen Verwaltungen des Landes Berlin bzw. des Bezirks Mitte wie auch an unsere Gesellschaft. Die Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule äußerte schon, dass sie als direkter Nachbar mit auf den Gedenkort achten und als Thema im Unterricht aufnehmen wird. Und die Bitte von Frau Weißler am Ende der Veranstaltung: „Passen Sie auf diesen Ort auf!“ wird hoffentlich nicht vergeblich sein, und Einzelpersonen wie Initiativen werden den wachsenden Gedenkort aktiv – und wenn notwendig auch die Ämter mahnend – begleiten.

Gastautor: Jürgen Schwenzel
Dieser Text erschien zuerst bei Moabit online