Am 16. Mai 2018 fand in der Gotzkowskystraße 25 die Stolpersteinverlegung für James Heimann, seine Frau Marie, geb. Lewin und deren Sohn aus erster Ehe, Heinz-Ingo, statt. Zudem wurden von Herrn Münkel, in Vertretung von Günter Demnig in der Wittstocker Straße 10 vier Stolpersteine für die jüdische Familie Oskar Haase, seine Frau Rosa, geb. Lewin und ihre Kinder Thea und Joachim verlegt.
Im Anschluss gedachten wir an beiden Orten an diese sieben Menschen, die aus Moabit deportiert wurden. Begleitet wurde dies durch Benjamin Gidron, der aus Israel für die Verlegung der Stolpersteine für seine Verwandten gekommen ist. Zudem waren viele Anwohnerinnen und Anwohner sowie Interessierte vor Ort. Besonders bewegend war das Gedicht von Marie Heimann, das vorgelesen wurde und ihre Gedanken aus der Zeit vor der Deportation eindrücklich zeigt.
Benjamin Gidron (im Foto rechts) hielt an beiden Orten kurze Reden, die wir hier auf Deutsch dokumentieren.
Rede Gotzkowskystr. 25
Zur Erinnerung an Marie, James und Heinz-Ingo Heimann
Wir haben uns heute hier versammelt, fast 77 Jahre nachdem die Familie Heimann – der Vater James, die Mutter Marie und der Sohn Heinz-Ingo – dieses Haus zum letzten Mal verlassen hat und in ihren Tod am Neunten Fort bei Kowno in Litauen getrieben wurden. James war 39, Marie 33 und der Sohn Heinz-Ingo 10 Jahre alt.
Marie Heimann war die jüngste Schwester meiner Großmutter, die hier in diesem Kiez lebte, wie die meisten ihrer Brüder und Schwestern (sie waren ursprünglich neun) in den 20er und 30er Jahren mit ihren Familien.
Als ich damit begann, meine Familiengeschichte zu erforschen, wollte ich nicht nur erfahren, wie und wann sie ermordet wurden, sondern auch und in erster Linie, wie und wovon sie hier in Moabit lebten. Sie waren einfache Arbeiter und Angestellte, die wie viele andere in jenen schwierigen Jahren um’s Überleben kämpften. Das Wenige, das wir über die Familie Heimann wissen, ist, dass James, der Maries zweiter Mann war, als Fahrer arbeitete. Marie selbst war eine schöne Frau. Sie arbeitete als Sekretärin. Der Sohn Heinz-Ingo wurde 1938 in die vierte private Voksschule der Jüdischen Gemeinde in der Klopstockstraße eingeschult. Die Familie lebte seit 1936 in einer Wohnung in diesem Haus in der Gotzkowskystraße 25.
Die Familie wurde am 17. November 1941 mit dem Transport Nr. 6 nach Kowno deportiert. Im Zug waren 944 Deportierte. Sie erreichten Kowno am 21. November und wurden am 25. November erschossen.
Glücklicherweise fanden wir ein kurzes Gedicht von Marie, das sie zu Rosh HaShana – dem Jüdischen Neujahrsfest – schrieb. Die genaue Entstehungszeit des Gedichts ist unbekannt, aber aus dem Kontext ist zu entnehmen, dass es geschrieben wurde, nachdem Klarheit darüber herrschte, welches Schicksal den Juden in Deutschland bevorstand. Trotz der schwierigen Zeiten ist das Gedicht voller Hoffnung und Optimismus.
Zu Roschhaschono
„Und dennoch“ sei das Losungswort
In diesen schweren Tagen –
Und bleibst Du hier – und gehst Du fort,
Kopf hoch – und nicht verzagen!
Verzagen, das heißt untergehn –
Bewahr Dich vor dem Falle –
Die Welt ist groß, die Welt ist schön
Und sie hat Raum für Alle.
Und manche schöne Herrlichkeit
Soll noch Dein Auge schauen,
Die Welt ist schön, die Welt ist weit –
Nur Mut und Selbstvertrauen!
Auch ich erhoff‘ mein Stückchen Glück,
Wenn ich zu kämpfen wage,
Und hadre nicht mit dem Geschick
Im Dunkel meiner Tage.
Und Du mein Freund, der noch nicht fort,
Hilf mir, das Glück zu zwingen –
„Und dennoch“ ist das Losungswort,
Und es muss doch gelingen.Dass meine Frau und ich heute hier sind zeigt, dass wir in unserem Engagement nicht nachlassen, an jedes einzelne Familienmitglied zu erinnern – an jene, die ermordet wurden und an jene, die von den Nazis gezwungen wurden, Berlin zu verlassen.
Wir hätten dieses Projekt nicht ohne die enorme Hilfe durch Sie alle, insbesondere aber vom Verein „Sie waren Nachbarn“ in Angriff nehmen können. Während meine Familienangehörigen und die Eltern und Großeltern der Vereinsmitglieder in der Vergangenheit höchstwahrscheinlich Nachbarn waren, vermitteln uns zwei oder drei Generationen später die Vereinsmitglieder das Gefühl, dass wir heute tatsächlich ihre Nachbarn sind.
Ich nehme die Gelegenheit wahr, jedem einzelnen und allen Mitgliedern des Vereins „Sie waren Nachbarn“ für ihr fortgesetztes Engagement für die Erinnerung an die früheren Bewohner von Moabit und Ihnen allen für Ihre heutige Teilnahme an unserer Feier zu Ehren der Familie Heimann zu danken, die hier in der Gotzkowskystraße 25 gewohnt hat.
Rede Wittstocker Str. 10
Zur Erinnerung an Rosa, Oskar, Thea und Joachim Haase
Wir haben uns heute hier versammelt, fast 77 Jahre nachdem die Familie Haase – Oskar und Rosa mit ihren Kindern Thea und Joachim – dieses Haus zum letzten Mal verlassen hat, um deportiert und im Wald von Rumbula in der Nähe von Riga in Lettland getötet zu werden. Oskar war 42, Rosa 37, Thea 13 und Joachim 9 Jahre alt.
Rosa war eine jüngere Schwester meiner Großmutter, die hier in diesem Kiez lebte, wie die meisten ihrer Brüder und Schwestern (sie waren ursprünglich neun) in den 20er und 30er Jahren mit ihren Familien.
Als ich damit begann, meine Familiengeschichte zu erforschen, wollte ich nicht nur erfahren, wie und wann sie ermordet wurden, sondern auch und in erster Linie, wie und wovon sie hier in Moabit lebten. Sie waren einfache Arbeiter und Angestellte, die wie viele andere in jenen schwierigen Jahren um’s Überleben kämpften. Ich fand fast keine Aufzeichnungen über ihr Leben. Was wir wissen ist, dass Oskar Friseur war und später als Fahrer gearbeitet hat. Das ältere Kind, Thea, wurde 1935 in die Heinrich-von Kleist-Schule in der Levetzowstraße eingeschult, wurde aber 1941, einige Monate vor der Deportation der Familie, gezwungen, die Schule zu verlassen und mit anderen jüdischen Kindern auf die 216. Volksschule geschickt. Joachim ging in die 4. Jüdische Volksschule in der Klopstockstraße.
Die Familie Haase wurde am 27. November 1941 ab Bahnhof Grunewald mit dem 7. Transport nach Riga in den Tod geschickt. Im Zug waren 1053 Deportierte. Sie erreichten den Bahnhof Skirotava in Riga in der Nacht vom 29. zum 30. November, wurden am nächsten Morgen zum Wald von Rumbula getrieben und dort erschossen.
Dass meine Frau und ich heute hier sind zeigt, dass wir nicht nachlassen in unserem Engagement, an jedes einzelne Familienmitglied zu erinnern – an jene, die ermordet wurden und an jene, die von den Nazis gezwungen wurden, Berlin zu verlassen.
Wir hätten dieses Projekt nicht ohne die enorme Hilfe durch Sie alle, insbesondere aber vom Verein „Sie waren Nachbarn“ in Angriff nehmen können. Während meine Familienangehörigen und die Eltern und Großeltern der Vereinsmitglieder in der Vergangenheit höchstwahrscheinlich Nachbarn waren, vermitteln uns zwei oder drei Generationen später die Vereinsmitglieder das Gefühl, dass wir tatsächlich heute ihre Nachbarn sind.
Ich nutze die Gelegenheit, jedem einzelnen und allen Mitgliedern des Vereins „Sie waren Nachbarn“ für ihr fortgesetztes Engagement für die Erinnerung an die früheren Bewohner von Moabit und Ihnen allen für Ihre heutige Teilnahme an unserer Feier zu Ehren der Familie Haase zu danken, die hier in der Wittstocker Straße 10 gewohnt hat.