Die Silberbergs

Benjamin Gidron

Übersetzter Beitrag von Benjamin Gidron anlässlich der Stolpersteinverlegung für die Familie Silberberg am 2. Juni 2021.

Paula Silberberg war das vierte der neun Kinder meiner Urgroßeltern Isidor und Jenny Lewin. Paula war eine jüngere Schwester meiner Großmutter Emma Gottfeld. Sie wurde 1901 in der Kleinstadt Trelong/Trlag im Bezirk Posen geboren. Einige Jahre später zog die Familie in das nahe gelegene Mogilno, wo ihr Vater ein Kleidergeschäft hatte. Nach dem Ersten Weltkrieg zog die Familie nach Berlin.
In Berlin heiratete Paula Max Silberberg, der 1895 in Ergste, Nordrhein-Westfalen, geboren worden war. Das Paar hatte zwei Töchter, Edith, geboren 1927 und Ingeborg, geboren 1930.
Die Familie lebte in Weißensee, zuerst in der Mutzigerstraße 4a und später in der Pistoriusstraße 141. Max war Maler und Anstreicher. Die beiden Mädchen gingen in die Clara-Schumann-Schule in der Pistoriusstraße (heute Primo-Levi-Schule).
Die Familie wurde im Februar 1943 von Berlin nach Theresienstadt deportiert und blieb dort fast 2 Jahre lang. Sie wurden weiter nach Auschwitz verschleppt – Max zuerst am 29. September 1944 und Paula mit ihren Töchtern 2 Wochen später. Offenbar stand Edith, mit 17 Jahren die ältere von beiden, ursprünglich nicht auf der Liste der zu Deportierenden, entschied sich jedoch dafür, bei ihrer Mutter und Schwester zu bleiben. Das haben wir aus der Deportationsliste nach Auschwitz geschlussfolgert. Paula und Ingeborg hatten sehr niedrige Nummern (92 und 93); Ediths Nummer war 1497, was darauf hindeutet, dass sie in letzter Minute hinzugefügt wurde.
Ich hatte das Glück, 2010 eine Freundin von Ingeborg aus der Kindheit zu treffen, Frau Evelyn Grasse (früher Haucke). Sie erzählte mir, dass Ingeborg und sie beste Freundinnen waren, die zusammen mit Puppen spielten, sich gegenseitig besuchten und miteinander in die benachbarte Bücherei gingen. Eines Tages in 1938, die Mädchen waren 8 Jahre alt, kam Ingeborg nicht mehr in die Schule und sie sah sie nie mehr. Als Evelyn Jahre später erfuhr, was die Nazis den Juden angetan hatten, hoffte sie darauf, dass Ingeborg irgendwie den Holocaust überlebt hätte und suchte nach ihr. Mit Hilfe ihrer Enkel Katja Stettin und Mathias Bergmann fand sie meine Internetseite und wir trafen uns hier in der Pistoriusstraße 141. Sie zeigte mir die Wohnung im Hinterhaus, in der Ingeborg gelebt hatte, die Schule, die Bibliothek und mehr. Ich erfuhr von Katja,
dass Frau Grasse vor ein paar Jahren gestorben ist. Ich bin sicher, dass sie sonst mit uns zusammen hier wäre, um ihrer Freundin zu gedenken.
Mit dieser heutigen Zeremonie vollende ich ein Projekt, bei dem vor den neun Häusern all meiner Familienangehörigen Stolpersteine verlegt wurden, sowohl für die, die zwischen Oktober 1941 und Oktober 1944 von den Nazis umgebracht wurden, als auch für die, die in den 1930ern zur Flucht gezwungen wurden – insgesamt 37 Steine für 37 Menschen, Männer, Frauen und Kinder.
Immer, wenn ich und meine Familienangehörigen zu einer solchen Verlegung nach Berlin kommen, bin ich davon beeindruckt, dass Dutzende von heutigen Bewohnern an diesen Zeremonien teilnehmen. Sie kommen, um den früheren Jüdischen Nachbarn ihrer Eltern oder Großeltern Respekt zu erweisen und ihre Lebensgeschichten anzuhören. Ich möchte Ihnen allen dafür danken, dass Sie heute hierher gekommen sind und besonders Herrn Landmann, der diese Zeremonie organisiert hat.
Dieses ganze Projekt zum Gedächtnis der Familie Gottfeld/Lewin hätte nicht ohne die aktive Mitwirkung und das tiefe und bedeutungsvolle Engagement der Moabiter Initiative „Sie waren Nachbarn“ realisiert werden können. Ich nehme die Gelegenheit wahr, ihren Mitgliedern für ihre nicht nachlassende Erinnerungsarbeit an die jüdische Präsenz in Moabit zu danken. Wenn ich nach Berlin komme, vermitteln sie mir das Gefühl, dass wir langjährige Nachbarn sind.